1.1.a, b Materielle und soziale Deprivation sowie erhebliche materielle und soziale Deprivation
Die für diesen Indikator verwendeten Daten basieren auf der europaweit harmonisierten jährlichen Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC). Im Erhebungsjahr 2020 wurde EU-SILC aufgrund gestiegener Anforderungen an Aktualität sowie an die Bereitstellung tiefgegliederter regionaler Ergebnisse umfassend methodisch überarbeitet und in den Mikrozensus integriert. Infolge dieser Neuausrichtung sind die Ergebnisse ab 2020 nicht mit denen der Vorjahre vergleichbar.
Im Rahmen der Entwicklung der Europa 2030-Ziele wurde der bisherige Indikator zur „materiellen Deprivation“ überarbeitet und um Aspekte der sozialen Deprivation erweitert. Seit 2021 wird er daher als Indikator der „materiellen und sozialen Deprivation“ geführt. Bei Personen, die unter materieller und sozialer Deprivation leiden, sind die Lebensbedingungen aufgrund fehlender finanzieller Mittel stark eingeschränkt. Sie beziehungsweise der Haushalt, in dem sie leben, sind nicht in der Lage, mindestens fünf der folgenden dreizehn definierten Ausgaben zu tätigen – im Fall erheblicher materieller und sozialer Deprivation betrifft dies mindestens sieben der dreizehn Ausgaben:
Der Haushalt kann sich finanziell nicht leisten:
1. Miete, Hypotheken oder Rechnungen von Versorgungsbetrieben oder Konsum-/Verbraucherkrediten rechtzeitig zu bezahlen,
2. die Wohnung angemessen zu heizen,
3. unerwartete Ausgaben in bestimmter Höhe aus eigenen Mitteln zu bestreiten,
4. jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einer gleichwertigen Proteinzufuhr zu sich zu nehmen,
5. jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen,
6. ein Auto zu besitzen (kein Firmen-/Dienstwagen),
7. abgewohnte Möbel zu ersetzen.
Das Individuum kann sich finanziell nicht leisten:
8. abgetragene Kleidung durch neue (nicht Second-Hand-Kleidung) Kleidungssstücke zu ersetzen,
9. mindestens zwei Paar passende Schuhe in gutem Zustand zu besitzen,
10. wöchentlich einen geringen Geldbetrag für sich selbst aufzuwenden,
11. regelmäßige Freizeitaktivitäten zu haben (auch wenn diese Geld kosten),
12. mindestens einmal im Monat mit Freunden/Familie für ein Getränk/eine Mahlzeit zusammenzukommen,
13. eine Internetverbindung zu haben.
Die sechs individuellen Merkmale (Punkte 8 bis 13) werden nur bei Personen ab 16 Jahren erhoben. Für Kinder unter 16 Jahren werden die Angaben aus den Informationen der Haushaltsmitglieder ab 16 Jahren abgeleitet. Dabei gilt: Wenn mindestens die Hälfte der über 16-Jährigen im Haushalt angibt, sich eine bestimmte Ausgabe nicht leisten zu können (wie das Ersetzen abgetragener Kleidung), wird dies auch für die Kinder unter 16 Jahren des Haushalts angenommen. Zusätzlich wird geprüft, ob Kinder unter 16 Jahren in einem benachteiligten Haushalt leben – das heißt, ob mindestens drei der sieben haushaltsbezogenen Merkmale erfüllt sind (wie die Wohnung nicht angemessen warm halten zu können).
Zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Daten hat das statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) für die Jahre vor 2021 Rückrechnungen auf Basis des neuen Indikators vorgenommen.
Im Zeitverlauf lagen die Deprivationsraten in der EU nahezu durchgängig über den entsprechenden Werten in Deutschland. Nach Berechnungen von Eurostat waren im Jahr 2024 insgesamt 12,1 % der EU-Bevölkerung von materieller und sozialer Deprivation betroffen. Dieser Anteil lag damit um 0,7 Prozentpunkten über dem entsprechenden deutschen Wert von 11,4 %. Beim Anteil der erheblich materiell und sozial deprivierten Personen fiel der Unterschied geringer aus: In Deutschland lag dieser Wert 2024 bei 6,2 % – und damit lediglich 0,2 Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt. Das politisch festgelegte Ziel wurde damit im Jahr 2024 erreicht – im Fall der erheblichen materiellen und sozialen Deprivation jedoch nur knapp.
Deutlichere Unterschiede zeigen sich innerhalb Deutschlands zwischen den Altersklassen. Die Deprivationsrate bei unter 16-Jährigen lag mit 13,0 % über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung, während sie bei Personen ab 65 Jahren lediglich 8,1 % betrug. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei der erheblichen materiellen und sozialen Deprivation: 7,5 % der unter 16-Jährigen waren betroffen, verglichen mit nur 4,3 % der über 65-Jährigen.
Auch bei Betrachtung der einzelnen Deprivationskriterien zeigen sich teils deutliche Unterschiede. Während sich vergleichsweise wenige Befragte keine Internetverbindung (2,5 %) oder keine zwei Paar passende Schuhe in gutem Zustand (3,9 %) leisten konnten, berichteten rund ein Drittel (32,2 %), dass sie unerwartete Ausgaben nicht aus eigenen Mitteln bestreiten konnten.